Die aktuelle Krise zeigt, dass wir mit viel weniger Textilien leben können. Wir wurden zur Suffizienz gezwungen und realisieren, dass es sich so sehr gut leben lässt. Gleichzeitig führt uns die Krise aber auch die Auswirkungen sinkender Nachfrage klar vor Augen: Millionen von Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt sind in Gefahr. In der Zeit von COVID-19 zeigt sich die Anfälligkeit und Fragilität der Fast Fashion Systeme und neue Modelle sind gefragt!

Die weltweite Textilindustrie wird seit Jahrzehnten durchgeschüttelt: es gibt einige Gewinner und viele Verlierer.  Die COVID-19 Krise verschärft die Situation auf der ganzen Welt. Kleiderläden sind geschlossen, Bestellungen werden (teilweise vertrags- und gesetzwidrig) storniert, die Nachfrage sinkt. Der Kampf ums Überleben, der schon Jahrzehnte andauert, spitzt sich zu: Die Baumwollbäuerin in Westafrika, die Spinner in Griechenland, die Weber, Veredler und Konfektionäre in der Schweiz, Deutschland , Bangladesch und China, die NäherInnen und MitarbeiterInnen in den Färbereien – alle bekommen die Krisenanfälligkeit vom Fast Fashion System zu spüren.

Ich bin überzeugt: COVID-19 rückt weltweite System-Probleme der Textilindustrie in den Fokus, welche nur global gelöst werden können. Deshalb plädiere ich für einen Systemwechsel entlang der ganzen Wertschöpfungskette: weg vom individuellen Konkurrenzdenken und ungebremsten Wachstumsdenken hin zu mehr Kooperation, Zusammenarbeit und Suffizienz. Ein globales Problem und dessen Auswirkungen kann nur global und gemeinsam gelöst werden, damit sich lokal die Strukturen verändern. Dafür braucht es Bereitschaft und Einsatz von allen Beteiligten.

Das fast ungebremste Wachstum der letzten beiden Dekaden hat dazu geführt, dass die Natur und viele Menschen auf der Verliererseite standen und stehen. Die Textilindustrie gehört zu den schädlichsten Industrien weltweit, sowohl in ökologischer, wie sozialer Hinsicht. Ein möglichst schnelles „back to normal“ darf deshalb aus meiner Sicht nicht das Ziel sein. Vielmehr sehe ich die aktuelle Situation als klares Warnsignal: Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Krise als Chance  zu nutzen, um die schädliche Textilindustrie in eine nachhaltige Vorzeigeindustrie für Mensch und Umwelt zu transformieren.

Economies of Scale (Mengenvorteile) sind in der nachhaltigen Textilproduktion zentral. Denn eine nachhaltige Produktion ist viel teurer auf allen Stufen als eine konventionelle Produktion. Durch Kooperationen (horizontal und vertikal, auch zwischen Konkurrenten) können Synergiegewinne entstehen und es entstehen Produkte, die nachhaltig und gleichzeitig bezahlbar sind.

Der starke Anstieg in der Konsumation von Textilien in den letzten beiden Generationen fand statt, weil Kleider, Bettwäsche etc. von langlebigen Gebrauchsgütern zu Verbrauchsgütern mutierten. Ich bin der Meinung: Textilien sollen wieder langlebiger werden, Qualität (und damit meine ich auch soziale und ökologische Dimensionen) soll im Zentrum stehen. Denn: Wenn man ein Textil doppelt so lang und doppelt so oft braucht, kann man auch den doppelten Preis dafür bezahlen.

Sowohl in meinem täglichen Leben als auch in meinem Arbeitsumfeld spüre ich die Offenheit der KonsumentInnen und der Industrie für einen Systemwechsel. Und ich bin überzeugt, dass er möglich ist. Klar wird es Verlierer geben für die gesorgt werden muss, aber ein Systemwechsel ist notwendig. Die Industrie fährt sonst (gemeinsam mit dem Planeten Erde) ungebremst in die Wand und zerstört sich selber.

Deshalb: Vernetzt euch um gemeinsam den Systemwechsel voranzubringen! Das Zukunftsforum Nachhaltige Textilien ist ein Teil dieses System-Wechsels. Mit der Kerenzerberg Charta Nachhaltige Textilien haben wir die Felder definiert, in denen wir einen Wechsel voranbringen wollen. Es braucht viele Mitstreiter für diesen friedlichen und erfolgreichen Systemwechsel. Jetzt ist die Chance da. Packen wir sie gemeinsam!

 

Artikel von Tobias Meier,